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Freitag, 17. November 2017

Abschied vom Sommer



Auf einem Stein am Flussufer sitzt der Sommer und lässt die Füße ins Wasser baumeln. Neben ihm liegt ein prall gefüllter Rucksack. „Was machst du hier?“ frage ich und setze mich zu ihm. „Ich packe meine Sachen;“ antwortet er, „es ist Zeit für mich, zu gehen.“ „Jetzt schon? Du bist doch erst ein paar Tage hier!“ entgegne ich verwundert. „Ich bin schon genau so lange hier, wie ich hier sein sollte.“ Er packt einen bunten Feldblumenstrauß in seinen Rucksack, dem einige Bienen folgen. Ich runzele zweifelnd die Stirn. „Das kann nicht sein. Ich habe dich kaum gesehen.“ Der Sommer blickt mich traurig an. „Du hast mich nicht gesehen, weil du nur auf irgendwelche Bildschirme gestarrt hast. Dort war ich nicht. Ich war hier.“ Ich werde so rot wie die Kirschen, die der Sommer nun in seinen Rucksack legt. „Tut mir leid.“ murmele ich beschämt. „Kannst du nicht noch ein wenig bleiben? Nur ein paar Tage?“ Der Sommer schüttelt den Kopf. „Meine Zeit hier ist um. Aber vielleicht sehen wir uns im nächsten Jahr wieder.“ „Vielleicht? Weißt du denn noch nicht, ob du nächstes Jahr wieder hier sein wirst?“ Der Sommer weicht meinem Blick aus und zieht die Füße aus dem Wasser, bevor ein Krebs sie erreicht. Aus der Ferne klingt das Martinshorn eines Krankenwagens herüber, zerreißt für einen Moment die Stille, ebbt ab und erstirbt schließlich. „Ich schon.“ sagt der Sommer leise. Er steht auf, schultert seinen Rucksack und geht barfuß über die Wiese auf den nahen Wald zu. „Verschwende deine Zeit nicht!“ ruft er mir zu, bevor seine sonnengoldenen Locken ein letztes Mal aufblitzen; dann ist er fort. Ich bleibe allein am Flussufer zurück, bis die Kühle der Nacht in mein Innerstes kriecht.

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